Was als verborgen, geheim oder gar verboten gilt, hat oft eine besondere Anziehungskraft. Das gilt auch für das Neue Testament der Bibel. Denn neben den 27 Schriften, die in den neutestamentlichen Kanon aufgenommen wurden, gibt es auch eine Fülle weiterer Schriften in Form von Evangelien, Apostelgeschichten, apostolischen Briefen oder Apokalypsen, die eben nicht Eingang in diesen Kanon fanden, die aber seit Jahrhunderten die Menschen immer wieder faszinierten und Kunst, Literatur und auch die Volksfrömmigkeit stark beeinflusst haben. Sie gelten heute als »apokryph«, ein griechischer Begriff, der »versteckt, verborgen, geheim« bedeutet.
Um diese Schriften ging es beim 4. Bildungstag der kath. Pfarreiengemeinschaft Ottweiler am vergangenen Samstag im Fürther Pfarrheim. Unter der Überschrift »Die apokryphen
Evangelien oder: Der geheime Jesus« beleuchtete der Referent des Bildungstages, Prof. Dr. Hans-Georg Gradl, sehr anschaulich und verständlich Schritt für
Schritt alle Aspekte rund um die »Apokryphen«, von ihrer Entstehung im 2. bis 5. Jahrhundert bis zur ihrer Wirkung in der heutigen Zeit. Entscheidendes Ereignis für das neuzeitliche Interesse
daran ist zweifellos der als Sensation bezeichneter Fund im Dezember 1945. In der Nähe des oberägyptischen Nag Hammadi entdeckten Bauern 13 in Leder gebundene Kodices (frühe Form gebundener
Bücher) mit 50 einzelnen Schriften. Die in koptischer Sprache abgefasste Sammlung stammte aus der Zeit um das Jahr 350 n. Chr. Diese Schriften waren durch Überlieferungen der Kirchenväter dem
Namen nach zwar längst bekannt, aber nicht erhalten geblieben. Sie boten nun einerseits die Grundlage für die wissenschaftliche Erforschung, öffneten andererseits aber auch das Feld für allerlei
Spekulationen rund um die Person Jesu. Eine schier unübersehbare Zahl von Büchern kam auf den Markt, viele Filme in den Kinos und im Fernsehen folgten. Verschwörerische und obskure Theorien
entwickelten sich, wie etwa Jesu Scheintod am Kreuz oder seine Heirat mit Maria Magdalena. Das Interesse am »geheimen Jesus« und an den »Leerstellen« der Evangelien, also an dem, was über ihn
nicht in den kanonischen Evangelien steht, ist bis zum heutigen Tag ungebrochen. Weltweit erscheint derzeit etwa alle 6 Stunden (!) ein Buch zum Thema Jesus.
Am Ende des Bildungstages hatte Dr. Gradl bei den zahlreichen Teilnehmern für deutlich mehr Klarheit in Sachen Apokryphen gesorgt. Fest steht: der in den kanonischen Evangelien überlieferte Jesus
muss nicht durch ein neues Jesusbild ersetzt werden. Pater Otto dankte als Organisator des Bildungstages dem Referenten für seine engagierten Ausführungen, den vielen Teilnehmern für ihr
Interesse und dem Fürther Saalteam für die erneute vorzügliche Gastfreundschaft. Auch diesmal gilt: Fortsetzung im kommenden Jahr erwünscht. (hwb)